Willkommen in der LGBTIQ Freedom Zone

© Alexander Münch

Mannheim hat sich als eine der ersten Städte Europas zur LGBTIQ-Freedom Zone erklärt. Wie Mannheim diese Vorreiterrolle einnimmt, erklären die LSBTI-Beauftragten Sören Landmann und Margret Göth, die sich hier für die Chancengleichheit von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen und intergeschlechtlichen Menschen engagieren, im Interview.

Margret, seit Juli 2021 ist Mannheim offiziell LGBTIQ-Freedom Zone. Ein Meilenstein?

Margret Göth: Ja, das ist ein Meilenstein, denn als eine der ersten Städte in Deutschland und als erste Stadt in Baden-Württemberg hat der Gemeinderat diesen Schritt beschlossen und ist damit einer Entschließung des Europäischen Parlaments gefolgt. Mit der Ausrufung zum LGBTIQ-Freiheitsraum verpflichten wir uns zu öffentlichen Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen.

Wir funktioniert das im alltäglichen urbanen Leben?

Margret Göth: Unsere Aufgaben als LSBTI-Beauftragung sind sehr vielfältig. Wir beschäftigen uns mit Ratsvorlagen, kommunizieren intensiv mit der Politik und der queeren Community. Dabei haben wir sehr viele Anfragen aus dem alltäglichen Leben zu bearbeiten, wie: An wen kann ich mich wenden, wenn es ein Problem gibt, oder wo bekomme ich für ein bestimmtes Anliegen oder eine Idee Unterstützung oder Förderung. Die Chancengleichheit aller Menschen in Mannheim liegt uns sehr am Herzen. Gemeinsam mit anderen Vielfalts- und Gleichstellungsbeauftragten sowie Mitarbeitenden der Stadt bringen wir das immer weiter voran.

Sören, als erster LSBTI-Beauftragter Baden-Württembergs bist Du bereits seit 2015 in Mannheim aktiv – was hat sich seitdem in der Stadt verändert?

Sören Landmann: Im Vergleich zu anderen Städten sind wir hier in Mannheim schon einen großen Schritt weiter. Es wurde zunächst ein Fokus auf die Basisarbeit gelegt mit der Schaffung von Strukturen und Netzwerken. Beispiele sind unter anderem unsere strategische Mitarbeit im „Mannheimer Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt“, bei dem der Abbau von Vorurteilen ein wesentliches Ziel ist, oder unser Engagement im globalen Rainbow Cities Network. Und aus Mannheim kommen immer wieder bedeutende gesellschaftliche oder politische Impulse für die Unterstützung von LGBTIQ-Menschen: So war unsere Stadt dann auch die erste in Kontinentaleuropa, die Transpride-Flaggen am Rathaus gehisst hat.

Wie wichtig sind symbolträchtige Aktion wie Beflaggungen?

Sören: Flaggen sind natürlich nur Symbole, aber wenn wir am Rathaus sichtbar eine „Non-binary“-Pride-Flagge hissen, ist das für nicht-binäre Menschen ein sehr bedeutsames Erlebnis. In einem urbanen Kontext wird damit vielleicht erstmals ihre Identität offiziell gewertschätzt und Solidarität mit ihren Anliegen demonstriert. So einfach das symbolisch umzusetzen ist im Vergleich zu einem wirklichen gesellschaftlichen Wandel – es trägt dazu bei, dass Menschen aus marginalisierten Gruppen täglichen Diskriminierungen resilienter gegenübertreten können. Denn sie wissen: Hier in Mannheim habe ich die Unterstützung meiner eigenen Stadt!

Dass Mannheim eine LGBTIQ Freedom Zone ist – wird das auch in Berlin, Frankfurt oder München wahrgenommen?

Margret: Ich finde es spannend, dass dieser symbolträchtige Titel überregional eine wichtige Rolle spielt. Mein Eindruck ist, dass Mannheim es damit schafft, in anderen Großstädten von queeren Menschen wahrgenommen zu werden, die auf der Suche nach einer Stadt zum Leben und Arbeiten sind.

Kommunikation ist eine wichtige Aufgabe für Euch. Was ist die zentrale Botschaft?

Margret: Mannheim ist ein Zentrum der queeren Community in Deutschland. In diesem offenen und vielfältigen urbanen Umfeld können lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen so sein wie sie sind. Und darüber hinaus zeigen wir: In Mannheim gibt es auch hervorragende Job- und Karrierechancen.

Was erwarten queere Menschen auf Jobsuche von einer Stadt?

Sören: Eine Studie des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Sozialforschung, kurz ZEW, hat gezeigt, dass LGBTIQ-Themen für junge Talente auf Arbeitssuche extrem relevant sind. Und zwar nicht nur für queere Menschen, sondern auch für heterosexuelle Menschen. Das Vorhandensein einer sichtbaren und vielfältigen queeren Community wird hier als Lackmustest für die Offenheit einer Stadt genutzt. Jobsuchende können daraus ableiten, wie viel Freiraum für ihre eigene Selbstverwirklichung und das gemeinsame Zusammenleben es hier gibt. Queere Menschen auf Jobsuche erwarten darüber hinaus von ihren zukünftigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eine inklusive Firmenkultur. Das bedeutet, dass sie sich am Arbeitsplatz nicht mehr verstecken müssen und die Führungsetage hinter ihnen und ihren Grundrechten steht. Glücklicherweise erkennen auch immer mehr Unternehmen in unserer Region die Relevanz von LGBTIQ-Diversity-Maßnahmen und unterstützen beispielsweise die Gründung von eigenen LGBTIQ-Mitarbeitenden-Netzwerken.

Wie sieht Eure Unterstützung in diesem Bereich aus?

Sören: Gemeinsam mit anderen Partner*innenorganisieren wir beispielsweise Diversity-Lunch-Talks oder informelle Get-Together zwischen queeren Führungskräfte-Netzwerken. Es macht auch sehr viel Sinn, junge queere Gründerinnen und Gründer aktiv zu fördern. Diesbezüglich gab es gerade kürzlich eine Kooperation mit Expertinnen und Experten aus London zum Thema „Queering Venture Capital“, bei der wir die Erfahrungen der Mannheimer Startup-Community NEXT MANNHEIM einbringen konnten. Ein wichtiger Impulsgeber in unserer Region ist dabei RAHM, eine globale und sehr diverse LGBTIQ Leadership Community. Das passt sehr gut zu Mannheim und schafft sowohl Sichtbarkeit als auch wertvolle Kontakte zwischen den jungen und dynamischen queeren Führungskräften.

Queere Bezüge gibt es aber nicht nur in der Arbeitswelt?

Margret: Tatsächlich gibt es zu allen Themen, die das urbane Leben betreffen, queere Aspekte. Die kommende BUGA 23 wird die erste Bundesgartenschau sein, die einen Rainbow-Hub gestaltet und vorhält. Die queere Community engagiert sich sehr stark dafür, zwei internationale Künstlerinnen aus Kalifornien für einen speziell auf das Gelände der BUGA 23 angepassten „Ecosex Walk“ zu gewinnen – da werden Sexualität und Ökologie zusammengedacht. Auch die Regenbogenfamilien werden im nächsten Jahr erstmalig ihre Konferenz in Mannheim platzieren und die BUGA 23 besuchen. Im letzten Jahr haben wir uns intensiv mit dem Thema „Queere Vielfalt im Alter“ beschäftigt und mit den unterschiedlichsten Akteur*innen zusammengerarbeitet, wie etwa Pflegestützpunkte, Alteneinrichtungen und Pflegedienste. Ein Höhepunkt war ein Fachaustausch in Berlin, der gezeigt hat, was wir schon erreicht haben und was noch möglich ist.

© Alexander Münch

Wie attraktiv ist Mannheim heute für die queere Community?

Margret: Mannheim ist eine sehr attraktive Stadt. Hier finden sich relevante Strukturen, aber auch sehr vielfältige und inspirierende Lebensentwürfe. Nur zwei Beispiele: Es gibt das sehr aktive Netzwerk Queere Frauen², das spannende Veranstaltungen organisiert und die Vernetzung vorantreibt. Und im Mai haben wir in Mannheim die Eröffnung eines Fotoateliers gefeiert, das von einer jungen Frau betrieben wird, die mit weiteren Frauen eine polyamouröse Beziehung führt und die in ihrem erfolgreichen happypolyfamily-Blog über ihren Alltag mit drei Kindern und vier Katzen in einer heteronormativen Welt berichtet. Das hätten viele vielleicht in Berlin oder München vermutet – aber jetzt gibt es das hier mitten in Mannheim.

Sören: Da denkt man natürlich gleich: Wow – diese queeren Netzwerke sind so woke und so hip, da stimmt ja schon alles. Die Wahrheit ist aber: Finanzielle Mittel und professionelle Infrastrukturen existieren in der queeren Community noch vergleichsweise wenig. Sehr viel muss von wenigen ehrenamtlichen Schultern getragen werden. Da kommen viele Engagierte schnell an die Grenzen des Leistbaren. Es gibt also noch viel zu tun.

Margret: Es ist sicher noch nicht alles, wie es sein sollte, deshalb sind wir ja auch da. Wichtig ist: Wir nehmen uns Zeit für die Menschen und nehmen alle mit. Mit der Freedom Zone ist aber der Rahmen gesetzt, das ist eine sehr gute Grundlage. Der Juni war der globale PRIDE-Monat. Der Mannheimer Gemeinderat hat sich bei der Ausrufung des LGBTIQ-Freiheitsraums daran orientiert und beschlossen den gesamten Monat über sowohl das Rathaus E5 als auch das Technische Rathaus mit einer Regenbogenflagge zu beflaggen. Das war mal wieder ein echtes Statement und sucht bundesweit seinesgleichen.

Also ein Highlight in Eurer bisherigen Arbeit als LSBTI-Beauftragte?

Margret: Für mich war die Eröffnung des Queeren Jugendtreffs mit dem Kick-off im April und der Öffnung für die jungen Menschen im Juni ein besonderes Highlight. Die Stadt hat mit der Förderung des Jugendtreffs ein ganz deutliches Zeichen für den Freiheitsraum und die jungen Menschen gesetzt. Sie haben einen wertschätzenden Raum für ihre freie Entwicklung erhalten.

Sören: Ich habe einen jungen Menschen, der nach einem unfreiwilligen Coming-Out in großer Gefahr schwebte, in Sicherheit bringen und ihm einen Neuanfang ermöglichen können. Durch meine Rolle konnte ich ihm wichtige Türen öffnen. Seine Dankbarkeit hat mich sehr berührt und das werde ich nie vergessen

„Es sind die Erlebnisse mit vielen besonderen Menschen, die Mannheim zu einer sehr bedeutsamen Stadt sicherlich nicht nur für mich machen.“ Sören Landmann

Was bedeutet Euch Mannheim ganz persönlich?

Margret: Mannheim ist eine Stadt, die Engagement der Bürger*innen nicht nur wünscht, sondern in der Tat auch auf die Anliegen und Themen reagiert und so vieles ermöglicht. Ein gutes Beispiel ist das QZM – Queeres Zentrum Mannheim, das aus dem Engagement der Community im Rahmen des Beteiligungshaushalts entstanden ist.

Sören: Mannheim war schon immer ein sehr persönlicher Teil meines Lebens. Ich war als Jugendlicher hier auf meinem ersten CSD. Meine Oma liegt hier begraben und ich habe meinen Freund hier kennengelernt. Es sind die Erlebnisse mit vielen besonderen Menschen, die Mannheim zu einer sehr bedeutsamen Stadt sicherlich nicht nur für mich machen.

Welche Musik oder welcher Song passt am besten zu Mannheim?

Margret: Ich habe nicht so viel Zeit, Musik zu hören, wie ich gerne hätte. Aber zu Mannheim passt natürlich ganz hervorragend „Ein Lied kann eine Brücke sein“ in der Version der RosaKehlchen, seit 30 Jahren aktiver schwuler Chor.

Sören: Meine Lieblingsmusik hängt immer sehr vom Kontext und meiner Stimmung ab. Ganz besonders gut gefallen mir dabei junge queeren Talente aus der Mannheimer Popakademie wie Leopold, Ash M.O., Linda Bender (LIN), Elena Rud oder Harrison McClary.

Was ist Euer persönlicher Lieblingsort in Mannheim?

Margret: Ganz klassisch: der Alte Messplatz mit Capitol, Feuerwache, Alter und natürlich – für manche Nicht-Mannheimerinnen und Mannheimer unverständlich – das Adria.

Sören: Ich liebe lange Spaziergänge, um auch mal den Kopf wieder freizukriegen. Deswegen habe ich gerade über die Pandemie die Neckarwiesen sehr in mein Herz geschlossen.

Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG

Fotos: Alexander Münch

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